Enterbt

Das Pflichtteilsrecht soll den nächsten Angehörigen des Erblassers (Verstorbenen) einen Mindestanteil an dessen Nachlass sichern. Es soll einen Ausgleich zwischen der gesetzlichen und der testamentarischen Erbfolge schaffen.
Grundsätzlich kann der Erblasser frei über sein Vermögen über seinen Tod hinaus verfügen. Man nennt dies Testierfreiheit. Er kann und soll frei darüber bestimmen dürfen, wem sein Vermögen nach seinem Tod zukommen soll. Er ist nicht verpflichtet, seine nächsten Angehörigen, z.B. Kinder und/oder Ehefrau zu begünstigen. Dies führt dazu, dass die nächsten Angehörigen enterbt werden können. Gleichwohl sieht das Gesetz eine Mindestbeteiligung der nahen Angehörigen am Erblasservermögen in Form eines Pflichtteilsrechts vor. Im Gegensatz zum Erben wird dem Pflichtteilsberechtigten jedoch keine Sach- oder Verfügungsmacht über den Nachlass eingeräumt, sondern vielmehr „nur“ ein Geldanspruch. Anspruchsgegner ist der Erbe oder bei mehreren Erben die Erbengemeinschaft.

Höhe des Pflichtteilsanspruchs

hierzu bestimmt das Gesetz in § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB:

„Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.“

Der gesetzliche Erbteil ist abhängig vom Verwandtschaftsgrad und vom Güterstand, den die Eheleute für ihre Ehe gewählt haben. Hier sind die Regelungen der §§ 1925 ff. sowie die güterrechtlichen Regelungen in den §§ 1371 BGB maßgeblich. Bei der Berechnung der Pflichtteilsquote ist für jeden Berechtigten gesondert vorzugehen.

Was ist, wenn der Erblasser angeordnet hat, jemand soll „den Pflichtteil erhalten“?

Eine solche Anordnung ist mehrdeutig: Die Zuwendung des Pflichtteils kann nämlich zum einen als Erbeinsetzung in Höhe der Pflichtteilsquote, zum anderen aber auch als Enterbung und Verweisung auf den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch oder auch als Vermächtniszuweisung in Höhe des Pflichtteilsanspruchs verstanden werden. Dass daraus erwachsende Streitpotenzial hat der Gesetzgeber gesehen und mit § 2304 BGB eine negative Auslegungsregelung geschaffen:

§ 2304  BGB bestimmt:

„Die Zuwendung des Pflichtteils ist im Zweifel nicht als Erbeinsetzung anzusehen.“

Eine Erbeinsetzung kann demnach nur angenommen werden, wenn in der letztwilligen Verfügung der Wille des Erblassers Niederschlag gefunden hat, dass dem Pflichtteilsberechtigten Rechte am Nachlass und auch Mitsprache bei der Verwaltung und Teilung des Nachlasses eingeräumt werden sollen.

Was ist, wenn dem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil zugewendet ist, der geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils?

In diesen Fällen steht dem Miterben ein Pflichtteilsrestanspruch (Zusatzpflichtteil) zu:

§ 2305 BGB bestimmt insoweit:

„Ist einem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil hinterlassen, der geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, so kann der Pflichtteilsberechtigte von den Miterben als Pflichtteil den Wert des an der Hälfte fehlenden Teils verlangen.“

Was gilt, wenn dem Pflichtteilsberechtigten vom Erblasser im Testament ein Vermächtnis zugewandt wird ?

Grundsätzlich gilt, dass der Pflichtteilsberechtigte sich nicht auf ein bestimmtes Vermächtnis von zweifelhaftem Wert verweisen lassen muss.

Das Gesetz räumt in § 2307 BGB dem Pflichtteilsberechtigten ein Wahlrecht ein:

Er kann entweder das Vermächtnis ausschlagen und den vollen Pflichtteil verlangen oder das Vermächtnis annehmen.

Macht der Pflichtteilsberechtigte nicht von seinem Recht zur Ausschlagung Gebrauch und nimmt die Zuwendung an, muss er sich den Wert des Vermächtnisses auf seinen Pflichtteilsanspruch anrechnen lassen. Beträgt der Wert des Vermächtnisses weniger als die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils, kann der Pflichtteilsberechtigte die Differenz geltend machen.

Das Gesetz gibt dem mit dem Vermächtnis belasteten Erben die Möglichkeit, sich Klarheit über das Vorgehen des Pflichtteilsberechtigten zu verschaffen und eine zügige Abwicklung zu ermöglichen. Der Erbe kann daher den Pflichtteilsberechtigten unter Bestimmung einer angemessenen Frist zur Erklärung über die Annahme des Vermächtnisses auffordern. Mit dem Ablauf der Frist gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen, wenn nicht vorher die Annahme erklärt wird (§ 2307 Abs. 2 BGB).

Was ist, wenn der Erblasser durch Schenkungen zu Lebzeiten den Nachlass geschmälert hat?

Hat der Erblasser innerhalb seiner letzten zehn Lebensjahre Vermögen verschenkt, ist dieses Vermögen in bestimmten Anteilen dem tatsächlichen Nachlasswert zum Todeszeitpunkt hinzuzurechnen. Der sich ergebende Wert wird fiktiver Nachlass genannt. Dem Pflichtteilsberechtigten steht auch an dem aufgrund der Schenkungen tatsächlich nicht vorhanden Nachlass ein Anteil in Höhe der Hälfte seiner gesetzlichen Quote zu.

Wie wird der Pflichtteilsanspruch durchgesetzt ?

Zunächst ist von wesentlicher Bedeutung, dass der Wert des Nachlasses ermittelt wird. Häufig haben diejenigen, die den Pflichtteil geltend machen möchten, keinerlei Kenntnisse über diesen Wert. Aus diesem Grund gewährt das Gesetz dem Pflichtteilsberechtigte ein umfassendes Auskunftsrecht. Dieses ist gegenüber dem Erben geltend zu machen.

Die §§ 2311-2313 BGB geben die Grundsätze der Wertbestimmung des Nachlasses vor.

Zunächst ist der Bestand (Aktiva/Passiva) des Nachlasses festzustellen. Maßgeblich für die Berechnung des Pflichtteils ist der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls d. h. zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers. Veränderungen, die der Nachlass sowohl auf der Aktiv-, als auch auf der Passivseite nach dem Tod des Erblassers erfährt, bleiben grundsätzlich unberücksichtigt. In Einzelfällen gelten jedoch Ausnahmen vom Stichtagsprinzip (dies sind Fälle der Anrechnung, Ausgleichung, Pflichtteilsergänzung).

Aktivbestand

Gegenstand der Erfassung des Aktivbestandes sind alle vererblichen Vermögenswerte des Erblassers. Hierzu sind alle vermögensrechtlichen Positionen oder Beziehungen zu zählen. Es gehen nicht nur bereits begründete Rechte und Pflichten auf den Erben über, sondern grundsätzlich alle vermögensrechtlichen Positionen und Beziehungen, die der Erblasser noch zu seinen Zeiten eingeleitet hat, die aber erst nach dem Erbfall endgültige Rechtswirkungen entwickeln. Nicht in den Nachlass fallen Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Persönlichkeitstrechts.

Dazu gehören zum Beispiel:

  • Bankguthaben auf Konten, die auf den Erblasser lauten. Handelt es sich um Oder-Konten oder Und-Konten, sind im Zweifel die Kontoinhaber zu gleichen Teilen berechtigt, sodass nur der Anteil des Erblassers dem Aktivnachlass zuzurechnen ist
  • Steuerrückerstattungsansprüche. Werden Eheleute zusammenveranlagt, entscheidet das Verhältnis ihrer steuerpflichtigen Einkünfte zueinander
  • Pflichtteilsansprüche des Erblassers, sofern er bzw. der Erbe diese geltend gemacht hat und auch tatsächlich realisieren kann
  • aufschiebend bedingte Forderungen, sofern sie in ihrem rechtlichen Bestand unzweifelhaft sind.

Passivbestand

Hierzu zählen Nachlassverbindlichkeiten wie z.B. Erblasserschulden, Unterhaltsverbindlichkeiten und Erbfallschulden.

Nachlassverbindlichkeiten umfassen alle Ansprüche, die sich gegen den Erblasser, den Erben als solchen und den Nachlass richten und Befriedigung aus dem Nachlass fordern. Nicht zu berücksichtigen sind jedoch Verbindlichkeiten, die aus der letztwilligen Verfügung des Erblassers resultieren. Gemeint sind hierbei Vermächtnisse, Auflagen und Kosten einer Testamentsvollstreckung.

Erbfallschulden sind die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten, die erst durch den Erbfall entstehen. Hierzu gehören die Kosten der standesgemäßen Bestattung des Erblassers und der Grabstätte, die Kosten für die Eröffnung einer Verfügung von Todes wegen, die Aufwendungen der Nachlassverwaltung, Nachlasssicherung und Feststellung des Bestandes und Wertes des Nachlasses, ebenso die Kosten der Ermittlung der Nachlassgläubiger und der Inventarerrichtung, die Kosten der Auskunftserteilung, die Kosten der Pflichtteilsberechnung, die Kosten des notariellen/amtlichen Nachlassverzeichnisses und des privaten Nachlassverzeichnisses, der Zugewinnausgleichsanspruch des überlebenden Ehegatten in den Fällen des §§ 1371 Abs. 2 und 3 BGB.

Nicht abzugsfähig sind neben den Pflichtteilsansprüchen selbst Vermächtnisse, Auflagen, Erbersatzansprüche, der Anspruch nach § 1371 Abs. 4 BGB, Erbschaftssteuer und die entsprechend veranlasste Steuerberatungskosten, die Kosten der Testamentseröffnung, der Testamentsvollstreckung, der Grabpflege nach erstmaliger Herrichtung der Grabstätte und die der Nachlassverwaltung oder Erbauseinandersetzung.

Bewertung des Nachlasses

Nicht nur der Bestand des Nachlasses ist auf den Zeitpunkt des Erbfalls bezogen festzustellen, sondern auch für die Bewertung des Aktiv- und Passivnachlasses ist der Zeitpunkt des Todes des Erblassers maßgebend. Wertsteigerungen und Wertverlustes nach Eintritt des Erbfalls kommen einerseits den Pflichtteilsberechtigten nicht zugute, können allerdings seinen Anspruch auch nicht beeinträchtigen.

Regelmäßig zugrunde zu legen ist hierbei der gemeine Wert. Der Pflichtteilsberechtigte ist wirtschaftlich so zu stellen, als sei der Nachlass beim Tode des Erblassers in Geld umgesetzt worden. Die Bewertung des Nachlasses ist dabei nicht aus der Sicht einer bestimmten Person vorzunehmen; es ist vielmehr auf einen durchschnittlichen Personenkreis abzustellen. Maßgebend ist der gemeine Wert, also der Wert, den alle Vermögenswerte und Verbindlichkeiten in der Hand eines jeden Erben haben würden.

Der gemeine Wert, auch als Verkehrswert bezeichnet, ist mit dem am Markt erzielbaren Normalverkaufspreis gleichzustellen. Ein bloßes Affektionsinteresse oder der reine Liebhaberwert ist ebenso unbeachtlich wie Buchwerte oder steuerliche Einheitswerte.

Im Zweifel ist der Wert der Nachlassgegenstände – in der Regel durch Hinzuziehung von Sachverständigenschätzung – zu ermitteln. Das Gesetz schreibt keine bestimmte Methode zur Wertermittlung vor. Grundsätzlich kommen das Vergleichswertverfahren, das Ertragswertverfahren das Sachwert- oder Substanzwertverfahren auch in Kombination und weiterer Differenzierung in Betracht. Verbindlichkeiten, die auf wiederkehrende Leistungen gerichtet sind, werden mit dem Kapitalwert in Ansatz gebracht.

Vergleichswertverfahren

Stehen von einem Nachlassgegenstand ausreichend vergleichbare im Markt zum Verkauf, kann der Wert aus dem Durchschnitt der verschiedenen Vergleichspreise ermittelt werden. Entscheidend ist, dass die Vergleichsobjekte mit dem Nachlassgegenstand weitgehend vergleichbar sind und eine genügende Anzahl von Vergleichspreisen vorliegt.

Sachwert- oder Substanzwertverfahren

Hier wird der Betrag ermittelt, der zur Wiederbeschaffung des veräußerungsfähigen Nachlassgegenstandes erforderlich ist. Grundlage ist die Prämisse, dass der Nachlassgegenstand so viel wert ist, die benötigt würde, um einen vergleichbaren Nachlassgegenstand zu reproduzieren.

Ertragswertverfahren

Das Ertragswertverfahren kann dann zur Anwendung kommen, wenn Nachlasswerte zu schätzen sind, die geeignet sind, einen Ertrag zu erwirtschaften. Ausgangspunkt des Ertragswertverfahrens ist eine simulierte Investitionsentscheidung eines Käufers, der sich bei der Investition an dem zukünftig zu erwartenden Ertrag orientiert. Der Wert des Nachlassgegenstandes wird durch den erzielbaren Zukunftsertrag bestimmt, unter Annahme der Vollausschüttung und des erzielbaren Erfolgs bei voller Substanzerhaltung.

Wertermittlungsanspruch

Der Pflichtteilsberechtigte hat neben dem Auskunftsanspruch ein Anspruch gegen den Erben, dass dieser auf Kosten des Nachlasses den Wert des Nachlasses ermitteln bzw. ermitteln lässt (§ 2314 Abs. 1 Satz BGB).

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